Probefahrt Triumph 765 Street Triple RS
Ja, wo fang ich da eigentlich nun an? Am besten wohl gaaanz am Anfang: bei Gott.
Ihr müsst nämlich wissen, daß Gott zwar allmächtig, aber ganz gewiss nicht perfekt ist. Warum sonst ist es geschehen, daß ich von Geburt an - im Gegensatz zu Anderen - mit solch‘ unterirdischer Sehschwäche ausgestattet wurde, daß ich schon als Kind dazu verdammt war, eine heftige Brille tragen zu müssen. Und mit den Jahren wurde dann das natürlich auch nicht besser, denn neben meiner angeborenen Kurzsichtigkeit darf ich mich heutzutage zusätzlich auch an der sogenannten Altersweitsichtigkeit erfreuen.
Jetzt fragt sich wohl manch' einer natürlich, was das alles mit der 765 RS zu tun hat? Nun, eine ganze Menge. Denn es war so:
Punkt 10:00 Uhr war mein Probefahrttermin beanraumt und wie immer kam ich pünktlich zu spät von zuhause weg. Mein Weg führte mich über die Autobahn, wo man ja immerhin Zeit gutmachen kann. Eigentlich. Doch hinterlistig über Nacht gebaute Baustellen, Frühnebelschleicher und andere Autobahnblockierer machten es trotz vollem Einsatz unmöglich, Zeit auf der 65km-Anfahrt aufzuholen. Aufs Tanken hatte ich zeitbedingt eh‘ verzichtet. Und natürlich musste zu allem Überfluss dann auch noch unterwegs die Reserveleuchte angehen. Aber rechnerisch kurz überschlagen, sollte es bis zum Ziel eigentlich reichen, besser gesagt musste es reichen, da ich ja keine Zeit zum Tanken hatte und alles was ich zu spät kam, würde von meiner Probefahrzeit abgehen, da noch andere nach mir auf die RS warteten.
Nun, und da der Triumphhändler dummerweise ja unbedingt in einer mir bis dato völlig unbekannten Gegend seinen Schuppen eröffnen musste, hatte ich mir einen wunderschönen Routenplan notiert und auf den Tank geklebt. Das war klug.
Weniger klug war, daß ich kleiner schrieb, als ich von einer Street Triple R-Sitzbank aus - wegen Gottes Hang zum Un-Perfektionismus - also mit meiner Sehschwäche, habe lesen können, was natürlich zwingend dazu führen musste, daß ich - abgelenkt durch eine Hatz mit einem Audi R 5 - in einer Zeile meines Anfahrplanes verrutschte und dadurch eine Abzweigung übersah... Außerdem war der Audi durch nicht ganz faires Überholen meinerseits zwar niedergerungen, doch noch nicht gedemütigt worden!
Als ich mich danach wieder auf meinen Anfahrplan konzentrierte, passte keine der Ortsangaben und der Abfahrten mehr dazu. Also bei der nächstbesten Möglichkeit auf der gleichen Autobahn wieder zurückfahren, bis es wieder passen würde. Doch ausgerechnet an der Abfahrt die ich wählte kam man nur auf eine ganz andere Autobahn. Und dort gab es dann eine gefühlte Ewigkeit lang keine weitere Abfahrt. Meine Enttäuschung darüber wurde dann aber flugs von einer ganz anderen Enttäuschung schnell wettgemacht:
Das Gas blieb plötzlich weg. Oh nein! Tank leer! Mitten auf der Autobahn! Doch Glück im Unglück: Die nächste Raststätte war nur 1500 Meter entfernt und es ging leicht bergab. Also erstmal rollen lassen... nach ca. 500 Metern lag meine Rollgeschwindigkeit bei nur noch 12 Km/h, was zwar zum Joggen reicht, doch vergleichsweise mit den vorbeibrausenden Autos eher relativ langsam ist. Bei 4 Km/h entschloss ich mich, meine aerodynamisch höchst dynamische eingenommene Sitzhaltung (was mögen sich die Autofahrer dabei gedacht haben...) aufzugeben, die Füße von den Rasten zu nehmen und die letzten 800 Meter zu schieben.
Mit frischem Sprit versorgt versuchte ich zum Händler zu finden, doch vollkommen idiotisch verzweigte und schlecht bis falsch beschilderte Autobahnabfahrten versuchten dies nahezu unmöglich zu machen. (Falls ich dereinst Staatsregent werden sollte, werden dafür noch Köpfe rollen...!) Endlich, um Punkt 11:00 Uhr, also gerade rechtzeitig zum Ende meines Probefahrttermins und nach 150(!) Km Fahrtstrecke anstelle der veranschlagten 65, kam ich nach vielen Irrungen und Wirrungen beim Händler an. Entnervt und bis auf die Knochen völlig klamm gefroren. Doch ich hatte schon wieder Glück: Alle nach mir hatten wegen der Schweinekälte die Probefahrt mit der RS abgesagt. Weicheier! Haha!
Der Freundliche gab mir dann alle Zeit mich aufzuwärmen. In "alten" Zeiten hätte ich mich vor Antritt der Probefahrt an einer Flasche Lagavulin, Glenmorangie oder an meinem geliebten Laphroaig erwärmt, was den zusätzlichen Vorteil in sich birgt, die eigene Kritikfähigkeit zu reduzieren, was somit - zumindest gefühlt - ungemein schneller macht!
Es sollte beim Kaffee bleiben - nichteinmal ein Weizenstiefel wurde mir angeboten (und sowas nennt sich dann Flagship-Store...).
Nach kurzer Einweisung ging's dann los:
Als Modus wählte ich "Street", einerseits weil auch dort die volle Leistung zur Verfügung steht und andererseits, weil die Regelsysteme ABS und Traktion fühlbarer bzw. eher zum Einsatz kommen und ich eben auch speziell diese Regelungen einmal in der Praxis erleben wollte.
Meine Route lag in der Gegend von "Schotten". Wer dieses Revier kennt, weiß, daß es das beste Terrain für eine 675/765 ist.
Motor:
Ich war schon richtig geil darauf, die an meiner Street Triple R so schmerzlich vermisste Mehrleistung von rund 20 PS an der RS zu erleben. Doch als ich das erste Mal voll durchbeschleunigte war ich ziemlich ernüchtert, sogar enttäuscht. Es fühlte sich nicht nach mehr an! Immer und immer wieder riss ich auf und zerrte voll durch - und dennoch es war so wie bei meiner Streety 675 R. Erst nach mehreren Versuchen bemerkte ich, daß es beim Abrufen der vollen Leistung die Landschaft neben mir schneller vorbeisriss als sonst. Also doch mehr Power! Ein zweifelsfreies Indiz dafür war auch, daß das Moped sichtbar schneller hochdrehte und ständig in den Drehzahlbegrenzer im roten Bereich lief, was bei meiner deutlich länger dauert. Doch leider konnte ich die Mehrleistung nicht
gefühlt wahrnehmen. Ich führe das auf die recht gut funktionierende Lampenmaske zurück, die ich bei meiner nicht habe und welche offensichtlich hilft den Beschleunigungsdruck von Brust und Kopf zu nehmen.
Ach und da wäre er auch schon wieder... der Wunsch nach mehr Leistung... schlimm nicht wahr? Schon nach einer einzigen Probefahrt! Dürfen es 10 PS mehr sein? Ja, ok, es würde wohl auch nicht reichen... aber 20 PS mehr schon, oder nicht?
Fahrwerk:
Das Öhlinsfederbein ist genial - nirgendwo man spürt Überlastung oder Unfertigkeiten. Die Hinterhand wird perfekt geführt; es liegen immer beste Traktion und Super-Fahrbahnkontakt an! Auch die Gabel gibt - soweit es für einen "Hochlenker" möglich ist - gute Rückmeldung von der Fahrbahn. Niemals herrscht beim forcierten Landstraßenangasen Unklarheit über den Asphalt und den Grip. Natürlich kann das - bauartbedingt - an einen Stummel dennoch nicht heranreichen. Also Top Fahrwerk, mit der Einschränkung im Vergleich zu meiner 2009er Street Triple R (
erste Serie!), daß die neue RS nicht ganz so handlich, nicht ganz so wuselig wie meine ist. Dafür liegt die RS im direkten Vergleich spurstabiler, sämiger und ist weniger "hipplich". Wie gesagt: die "fahrradgleiche" Handlichkeit der
ersten Streety R erreicht sie jedoch nicht, dennoch: das Fahrwerk der RS ist auch äußerst handlich - nur fühlt es sich zu meiner Street R etwas "erwachsener" an.
Bremsen:
Jetzt weiß ich wieder warum ich ABS nicht mag. Der beste Beweis ist der Vergleich meiner Street R zur neuen RS. Auf die Gefahr hin, daß jetzt ein heftiges Gezeter losbricht (Nichts ist fataler als ABS in Motorradforen zu kritisieren!): Meine Bremse ist
deutlich besser zu
handhaben als die der neuen RS! Die Rückmeldung meiner ABS-losen Vorderbremse ist
unerreicht glasklar - dagegen fühlt sich die der RS teigig und deutlich rückmeldungsärmer an. Auch die nackte Bremsleistung hinkt dadurch der meiner gegenüber nach! Mir ist wirklich völlig Wurst, wenn es jetzt deswegen Beschimpfungen und Schmähungen hageln sollte. Ich weiß was ich weiß! Ich habe die exakt gleiche Strecke direkt unmittelbar nach der RS mit meiner Street R durchschossen. Ich habe nagelneue Reifen drauf (Conti Sport Attac3) und nagelneue Bremsbeläge (Serie), genauso wie die RS, die ich probegefahren bin - die hatte erst 450 KM auf der Uhr. Vielleicht wird es bei der RS besser, wenn man das ABS abschaltet, sofern man dies überhaupt komplett wegregeln kann, dennoch solange ein auch deaktiviertes ABS dazwischen geschaltet ist, kann ich mir nicht vorstellen, daß die RS meine Bremse erreicht... ausprobiert habe ich es durch Umschalten auf Race oder Trackmodus nicht, da war ich zuwenig darüber informiert, um dies an den Display-Schaltern ordentlich zu bewerkstelligen. Ich wollte ja auch nicht fummeln, sondern fahren...
Die Brembo-Zangen mögen für sich gesehen vielleicht göttlich sein - ABS verdirbt dies leider! Punkt.
Und bitte jetzt keine Bemerkungen wie: "Aber wenn Dir auf der regennassen, herbstlaubkontaminierten Landstraße bei 164 Km/h ein Medizinball in die Fahrbahn läuft oder Kleinkind vor das Vorderrad rollt, dann..."
Scheiß drauf! Darum geht es hier nicht! Basta!
Ausstattung:
Das "
Dash-Dingens" sieht im Stand in der Garage oder gerne auch im Wohn-/Schlafzimmer echt geil aus. Nicht so lustig bunt wie von Ducati, aber auch freaky verspielt - da geht ja soooo viel...! Kokolores und Firlefanz! Den Schmarrn braucht kein Mensch. Alles schlecht ablesbar... tausendundeine Informationen...alles winzig klein...kaum Praxisnutzen. Menschen, die von Gott mit genauso unvollkommenen Augen ausgestattet wurden wie ich, können auf dem Dashboard genau so viel ablesen, wie wenn gar keines vorhanden wäre!
Es geht halt nichts über einen großen analogen Drehzahlmesser, gerne eine Digitale Geschwindigkeitsanzeige, eine große Ganganzeige und einen stimmig platzierten, auffälligen Schaltblitz... das reicht völlig. Mehr braucht kein Mensch. Außer vielleicht noch einer "Mensch-Peter-jetzt-wird's-aber-echt-knapp-Benzin-Reserveleuchte" für so leicht ablenkbare Audi-R5-Killer-Peters wie mich...
Ich Dödel. Da fahr ich zum allerersten Mal in meinem Leben ein Moped mit
Quickshifter - und dann vergess' ich das total... Aaaaarrrrggghhh! Hab' natürlich immer schön gekuppelt... wie einst 1937 Schorsch Meier mit seiner Kompressor-BMW auf der Avus...
Leider soll das Teil jedoch nur beim Hochschalten funktionieren, was schon jetzt beim Stapellauf nicht mehr zeitgemäß ist! Peinlich, Triumph, peinlich!
Ebensowenig sollen sich ABS und Traktionskontrolle in den festgelegten Fahrmodi Rain, Street und Race angeblich NICHT extra einstellen lassen. Auch das ist eine längst überholte Unterlassung! Schade! Nur in dem Track-Modus (heißt der so?) kann man eine eigene Einstellung dieser elektronischen Helfer einrichten. Das wünscht man sich natürlich dann auch gleich "Track2" und "Track3" dazu, also mehrere Speicherplätze für verschiedene Rennstrecken oder Landstraßen. Leben wir nicht im Digitalzeitalter? Das wäre mit einem Euro (in Zahlen: 1,- €) Aufpreis sicherlich zu realisieren...
Immerhin: Angeblich muss man das gewählte Modi nicht nach jedem Neustart wieder neu anwählen... so einen nervenfolternden Unsinn soll es ja auch irgendwo geben...
Kaufen?
Ja. Unbedingt! Wenn jemand noch keine 675 Daytona oder Street Triple R hat, der kommt unmöglich da drum herum. Niemandem wird es gelingen sich aus ihrem Bann zu befreien. Es gibt auf dem gesamten Motorradmarkt
keine einzige vergleichbare Maschine. Die kleine Triumph ist das perfekte Heizgerät schlechthin: Mit nichts Anderem kann man so leicht und ohne Erfahrung so schnell fahren!
Mag sein, daß die neue KTM 790 ein klein wenig "in die Nähe" kommt, doch sie wird zu schwach sein und ganz bestimmt zu temperamentlos!
Aaaaaber: Wie schon gesagt: Wer "noch keine 675 Daytona oder Street Triple R hat"...
Zweifellos: Auch ich würde die RS kaufen. Sie ist in der Summe der Eigenschaften (außer der Bremse!) überall ein kleines Bisschen besser und moderner.
Doch das Problem ist: Wieviel muss ich für dieses "kleine Bisschen besser" aufbezahlen...
Und genau da wird bei den Meisten - außer unserem völlig verstrahlten reichen Lebemann Flo
- die Stimme der Vernunft bzw. mehr die des Bankkontos einsetzen.
Zum besseren Verständnis einmal ganz konkret offengelegt in meinem Fall:
Street Triple R, 22.000 Km Laufleistung, 1. Hand, unfall- und umfallfrei, auch wenn es von wenigen Einzelnen angezweifelt würde: perfekt gepflegt, optisch 1a, makellos, alle Kundendienste, der 20tausender KD (Ventile!) ganz frisch vor 400 Km + neuer Satz Reifen + neue Bremsbeläge, tadelloser Kettenkit, Arrows-Doppelanlage, Pazzo-Hebel, GSG-Sturzdämpfer mit den Halteplatten, kurzes Heck. Wenn der Händler meine in Zahlung nehmen sollte, die er während meiner Probefahrt durchgecheckt hatte, dann müsste ich fast 7.000,- € aufbezahlen. Ist es mir das Wert? Nein. Definitiv nicht!
Selbst wenn ich im freien, privaten Verkauf 1-1,5-tausend Euro mehr bekäme, wären es immer noch 5.500 bis 6.000 €. Das wäre mir einfach zu viel Geld für dieses kleine bisschen besser. Denn auf den Cockpit-Firlefanz kann ich getrost verzichten - da hätte ich schon lieber meine „alte“ Bremse dafür behalten. Denn mein Moped steht perfekt da, funktioniert perfekt - genau wie eine Neue und kann alles (fast) so gut wie die Neue...
Nein, da spiel ich viel lieber mit dem Gedanken, mir eine gut gebrauchte 675 Daytona zusätzlich anzuschaffen, denn einerseits hätte ich gerne noch das ein- oder andere Moped mehr zur Verfügung und andererseits - und das ist letztendlich der Knackpunkt: Die 765 Street Triple RS kann die 675 Daytona eben NICHT ersetzen! Sie kann ihr - wenn es wirklich hart auf hart geht - nicht einmal das Wasser reichen! Ich weiß das. Denn ich hatte die Daytona selbst besessen und bin selbst lange genug die Daytona gefahren...
Was mich 100% verführen könnte, das wäre neben Shakira, eine 765 Daytona, ultraleicht, von vorneherein kompromisslos als Einsitzer konzipiert mit 140+ PS.
Es lebe Sparta!
PS: Folgende Erfahrungen wollte ich euch dann doch auch nicht vorenthalten: Als ich mit meiner "alten" Street R die Probefahrtstrecke um Schotten herum noch einmal heftigst rauf und runter abgeritten bin, musste natürlich - was sonst - mitten in der seelenlosen Pampa die Reserveleuchte erneut angehen... noch den Schrecken der Autobahnschiebung im Geiste suchte ich nun in paranoider Angst nach Zapfsäulen an der verwaisten Piste entlang und kam hierbei zu der Erkenntnis, daß es in dem einzigen Ort, auf den ich in meiner Not getroffen bin, in "Mäusewinkel" leider KEINE Tankstelle gibt! Berlin, Paris, Mäusewinkel... leider nein in Mäusewinkel keine Tankstelle.
Mit den vielleicht letzten 5Km Restsprit traf ich dann des Wegesrandes auf ein in Auflösung befindliches Agrarunternehmen. Dort gab es einen verrosteten, siffenden automatisierten Münzgeld-Tankautomat. Er funktionierte. Unglaublich. 4 Euro Hartgeld retteten mich in die Großstadt Birstein oder war es Brachtal? Dort gab es eine - wenn auch namenlose - Tankstelle. Sie hatte sogar Super95! Gerechnet hatte ich eher mit Vorkriegs-Diesel oder mit Holzvergaser-geeignetem Mais-/Zuckerrüben Bio-Sprit...
Auch wenn ich für meine Streety das 95er stets verschmähe und ihr nur echten Sprit gönne - hier machte ich gerne eine Ausnahme. Die Hatz konnte weitergehen!
Wäre ich erneut liegengeblieben - ich hätte nichteinmal jemanden zu Hilfe rufen können, denn ich hatte extra für die Probefahrt - an und für sich sehr vernünftig - auf die Mitnahme meines Mobiltelefons verzichtet. Aus sportlichen Gewichtsgründen...
Zudem möchte ich an dieser Stelle festhalten, daß man das "Biebertal" & Co durchaus
beschaulich-elegant mit einer 675er - gleich welcher Bauart -
durchwandern kann, zumindest solange keine "2" als erste Zahl auf der Uhr steht... aber mit einer hohen "1" passt das scho'. Mahlzeit!
Motorradgruß!